Europäische Strominfrastruktur
Die Ungleichheiten in der europäischen Strominfrastruktur und im Marktdesign haben sich zu großen Hindernissen für den grünen Wandel entwickelt.
Verzögerungen beim Netzausbau haben zu einem Rückstau von mehr als 800 GW an Wind- und Solarkapazität geführt, die auf ihren Anschluss warten – fast das Doppelte des derzeitigen Angebots. Gleichzeitig untergraben die anhaltend hohen Strompreise die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und belasten die Verbraucher. Ohne dringende Netzinvestitionen und Modernisierung läuft die europäische Strominfrastruktur in Gefahr, ihr Netto-Null-Ziel für 2050 zu verfehlen, das vorsieht, dass 82 % des Stroms auf dem Kontinent aus intermittierenden erneuerbaren Energien stammen.
Die mangelnde Flexibilität des Netzes verschärft die Volatilität der Preise innerhalb eines Tages mit hohen Strompreisen während der Nachfragespitzen und negativen Preisen in den Schwachlastzeiten.
Allein in Deutschland belaufen sich die Vergütungen für erneuerbare Energien im Jahr 2024 auf 20,9 Mrd. EUR. Die Kosten für Netzengpässe sind zwar noch geringer (2,5 Mrd. EUR im Jahr 2019), werden aber bis 2030 voraussichtlich auf 12,3 Mrd. EUR und bis 2040 auf 56,7 Mrd. EUR ansteigen, wenn nicht nachgerüstet wird. Diese Kosten wirken sich letztlich auf die Strompreise aus, die bis 2030 um +22 % und bis 2040 um bis zu +103 % steigen können, wenn man von einem Business-as-usual-Szenario ausgeht. Die wirtschaftlichen Auswirkungen gehen jedoch über die Strompreise hinaus und bedrohen das BIP-Wachstum und die sektorale Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland könnte bis 2050 mit BIP-Verlusten in Höhe von 1,6 Mrd. EUR konfrontiert sein, wobei die öffentlichen Dienstleistungen (585 Mrd. EUR Verluste), das Finanzwesen (495 Mrd. EUR) und der Einzel- und Großhandel (266 Mrd. EUR) am stärksten betroffen sind.
Die Umstellung des Stromsektors in der EU könnte die Endpreise bereits 2035 um -11 % und 2040 um -30 % senken. Dazu sind jedoch bis 2050 Investitionen in die Netzinfrastruktur in Höhe von 2,3 Mrd. EUR erforderlich, wobei die jährliche Finanzierung durchschnittlich 90,8 Mrd. EUR beträgt. Um das EU-Ziel einer 90-prozentigen Emissionssenkung bis 2040 zu erreichen, könnte der jährliche Investitionsbedarf durch vorgezogene Investitionen auf über 100 Mrd. EUR ansteigen. 56 % der Gesamtinvestitionen werden auf das Verteilernetz entfallen, für das bis 2030 220 Mrd. EUR benötigt werden, vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien, auf die zusammen 50 % der Investitionen in das Verteilernetz entfallen. Für die Übertragungsinfrastruktur, die bis 2030 um 28 % ausgebaut werden soll, werden bis 2050 694 Mrd. EUR benötigt. Über die inländischen Netze hinaus muss die Kapazität der Verbindungsleitungen und der Stromspeicher bis 2030 verdoppelt werden, was jährlich 10 Mrd. EUR zusätzlich kostet, aber bis 2050 langfristige Einsparungen von 23 Mrd. EUR ermöglicht.
Um die Investitionskosten für das Stromnetz zu senken und die Effizienz zu steigern, muss Europa die Nachfrage flexibler gestalten, die Sektorkopplung und die Integration von Elektrofahrzeugen (EVs) vorantreiben sowie sein Marktdesign verbessern. Die Ausweitung der Nutzung von intelligenten Stromzählern kann Spitzenlasten und Speicherbedarf reduzieren und gleichzeitig den Energieverbrauch der Haushalte um 2-10% senken. Power-to-X-Technologien können überschüssigen erneuerbaren Strom für nachgelagerte Industrien nutzbar machen. Allein in Deutschland hätten die 10 TWh an abgeregelten erneuerbaren Energien im Jahr 2023 zur Produktion von grünem Wasserstoff genutzt werden können, wodurch 12% des nationalen Bedarfs ohne zusätzliche Erzeugung gedeckt worden wären. EVs mit bidirektionalem Laden können die Netzstabilität weiter verbessern, Engpässe reduzieren und die EU-Emissionen um -7% senken. Schließlich würde die Anpassung der Strompreiszonen an die Netzbedingungen die Engpasskosten senken und die Integration erneuerbarer Energien verbessern, was eine flexiblere und kosteneffizientere Energiewende für die europäische Strominfrastruktur gewährleistet.
Während eine stärkere Integration die europäische Strominfrastruktur- und -märkte durch erweiterte Verbindungskapazitäten die Systemstabilität erhöht und Kosten senken kann, wirft sie auch Herausforderungen in Bezug auf Energieautonomie, Marktwettbewerb und regionale Preisunterschiede auf. Länder mit niedrigeren Strompreisen könnten mit Preissteigerungen konfrontiert werden, was zu politischen Spannungen führt, wie am Beispiel der Absage Schwedens an die Hansa Power Bridge aufgrund lokaler Preisbedenken zu sehen ist. Ein Umlagen- und Subventionsmechanismus für Stromexporte könnte eine faire Verteilung der Vorteile gewährleisten und dabei Preisunterschiede abmildern und gleichzeitig Investitionen in Verbindungsleitungen unterstützen. Unsere Analyse der schwedisch-deutschen Verbindung zeigt, dass die Implementierung des 0,7 GW Hansa Power Bridge-Verbinders jährliche Einsparungen von 30 Mrd. EUR generieren könnte, was die Investitionskosten von 0,6 Mrd. EUR bei weitem übersteigt. Die Einführung maßgeschneiderter Preismechanismen und eine bessere Marktkoordination werden entscheidend sein, um die Vorteile einer tieferen Integration zu maximieren und gleichzeitig Verteilungsfragen zu adressieren.
Angesichts der fiskalischen Beschränkungen und steigender Militärausgaben in Europa ist es nicht möglich, sich bei der Deckung des Netzinvestitionsbedarfs für die europäische Strominfrastruktur ausschließlich auf öffentliche Finanzierung zu verlassen.
Um die jährliche Finanzierungslücke von 30-50 Mrd. EUR zu schließen, werden regulatorische Harmonisierung, Mobilisierung des privaten Sektors und neue Finanzierungsinstrumente für die europäische Strominfrastruktur von entscheidender Bedeutung sein. Reformen für die europäische Strominfrastruktur wie die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion (CMU) und die Einrichtung eines unabhängigen Systembetreibers (ISO) würden die Kapitalflüsse weiter verbessern, die Netzplanung optimieren und den grenzüberschreitenden Stromhandel fördern. Die Stärkung der Connecting Europe Facility (CEF) und anderer EU-Finanzierungsmechanismen wird ebenfalls entscheidend sein, um einen effizienten Kapitaleinsatz zu gewährleisten. Die Ausweitung von grünen Anleihen, Übergangsfonds und die Anpassung der Kapitalanforderungen können dazu beitragen, institutionelle Investoren anzuziehen, während gezielte steuerliche Anreize wie Abschreibungskonten und Steuergutschriften den finanziellen Druck mindern können. Durch die Diversifizierung der Finanzierungsquellen und die Straffung der Infrastrukturgenehmigungen kann Europa seinen Netzausbau beschleunigen und gleichzeitig die wirtschaftliche Nachhaltigkeit wahren.
Die gesamte Studie von Allianz Trade ist hier als Download abrufbar.