Umsatzwachstum im österreichischen Lebensmittel-Einzelhandel deutlich über dem europäischen Durchschnitt; E-Commerce Marktvolumen steigt um 12,3 Prozent
Wien, 04. Oktober 2021
- Krisengewinner: Umsatzplus im Lebensmittel-Einzelhandel von 5,3 % in Europa und +10,1 % in Österreich im Jahr 2020, Trend auch in 2021 anhaltend
- Aber: Online-Handel drückt auf die Margen
- E-Commerce Marktvolumen für Lebensmittelhandel stieg in Österreich 2020 um 12,3 % an, bis 2025 wird sich der Umsatz mehr als verdoppeln
- Beliebteste Lebensmittel im Online-Versand in Österreich sind Kaffee und Tee
- Neue Verbrauchergewohnheiten und Marktteilnehmer wirbeln Branche durcheinander – durchdachte E-Commerce-Strategie gefragt, passende Partnerschaften hilfreich
Die europäischen, österreichischen und deutschen Lebensmittel-Einzelhändler gehören mit einem satten Umsatzplus im Jahr 2020 von 5,3 % in Europa[1] , 10,1 % in Österreich und 7,9 % in Deutschland zu den Profiteuren der Covid-19-Pandemie. Allerdings hinterlässt der zunehmende Anteil des Onlinehandels auch nachhaltig Spuren bei den Margen. Die Pandemie hat den Übergang zum elektronischen Handel in Europa um vier bis fünf Jahre beschleunigt, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel: In den fünf wichtigsten Märkten liegt der E-Commerce-Anteil jetzt zwischen 3 % (Deutschland, Spanien) und 11 % (Großbritannien) des Lebensmittelumsatzes. Österreich verzeichnet mit nur 2,5% (168 Mio. EUR) aktuell ein noch sehr geringes E-Commerce Marktvolumen für den Lebensmittelhandel. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie zum europäischen Lebensmittel-Einzelhandel von Österreichs führender Kreditversicherung Acredia in Zusammenarbeit mit Euler Hermes.
Krisengewinner Lebensmitteleinzelhandel: Umsatzplus mit bitterem Beigeschmack durch E-Commerce
„Der Lebensmitteleinzelhandel gehört ganz eindeutig zu den Krisengewinnern“, sagt Acredia Expertin Marina Machan. „Mehr Mahlzeiten zu Hause und der florierende Verkauf von Haushalts- und Körperpflegeprodukten haben zu einem satten Umsatzplus in ganz Europa geführt. Doch die Zunahme beim Onlinehandel drückt auf die Margen und hinterlässt einen bitteren digitalen Beigeschmack.“
Im Corona-Jahr 2020 stieg laut dem Nielsen LEH Umsatzbarometer 2020 der Umsatz des Lebensmitteleinzelhandels in Österreich um 2,17 Mrd. EUR. Das ist ein Zuwachs von 10,1 % auf ein Volumen von ca.23,74 Mrd. EUR gegenüber 2019.
Die Rewe-Gruppe hat im Jahr 2020 trotz eines Umsatzplus die Marktführerschaft an Spar verloren. Der Marktanteil von Spar stieg durch überproportionales Wachstum auf 34,6 %, der Marktanteil von Rewe sank auf 33,3 %. Bei den Diskontern führt Hofer unverändert vor Lidl. Spar gewann 1,8 %-Punkte, Hofer/Lidl verloren 0,5 %-Punkte, Rewe verlor 0,9 %-Punkte. Insgesamt beherrschen diese vier Marktteilnehmer fast 90 % des Lebensmitteleinzelhandels in Österreich[2].
Diese positive Entwicklung beim Umsatz setzt sich auch 2021 fort, wenngleich mit der schrittweisen Wiedereröffnung von Bars und Restaurants etwas langsamer. Im ersten Halbjahr 2021 verzeichneten die europäischen Lebensmittel-Einzelhändler +2,4 % mehr Umsätze. Im gleichen Zeitraum ist die Nutzung des elektronischen Handels für Lebensmittel in Europa sprunghaft angestiegen – und das dürfte sich fortsetzen.
Online-Trend: 13,6 Mrd. EUR Umsatz und bis zu 1,9 Mrd. EUR Gewinn in Gefahr
„Die Verbrauchergewohnheiten haben sich durch die Pandemie nachhaltig geändert“, betont Branchenexpertin Marina Machan. „Diese Entwicklung lässt sich nicht einfach zurückdrehen und stellt den Handel vor große Herausforderungen – auch im Lebensmitteleinzelhandel. Wir schätzen, dass jedes Prozent der Lebensmittelverkäufe, das sich ins Internet verschiebt, 13,6 Mrd. EUR Umsatz und im schlimmsten Fall bis zu 1,9 Mrd. EUR Gewinn[3] gefährdet – das sind 4 % des Gesamtgewinns in den europäischen Top-5-Märkten. In einer Branche wohlgemerkt, die nicht gerade für üppige Margen bekannt ist.“
In Österreich ist die Durchdringung des E-Commerce im Lebensmittel-Einzelhandel im europäischen Vergleich mit 2,5 % relativ niedrig. Das liegt an verschiedenen Faktoren wie z.B. der schnellen Verderblichkeit vieler Produkte, den schwierigen Versandbedingungen für frische Ware und einer hohen Dichte an Supermärkten im städtischen Bereich. Die beliebtesten Artikel im online Versand sind Kaffee und Tee. Das Volumen stieg in 2020 aber immerhin um 12,3 % auf 168 Mio. EUR (gegenüber 149 Mio. EUR in 2020). Bis 2025 erwartet man sich noch ein weiteres Wachstum um ca. 33 % auf 224 Mio. EUR[4].
In Frankreich und Großbritannien ist die Bedrohung also deutlich größer. Dennoch bestehen auch in Österreich und Deutschland Risiken:
„Aufgrund des langsameren Ausbaus von Online-Angeboten, wirken sich die negative Margen im E-Commerce bisher weniger stark aus, als in anderen europäischen Märkten mit einer höheren Durchdringung“, sagt Machan.
Die zunehmende Verlagerung des Handels mit Lebensmitteln ins Internet stellt die etablierten Einzelhandelsunternehmen in ganz Europa vor zwei große Herausforderungen: neue Formen des Wettbewerbs und Druck auf die Rentabilität.
Wettbewerbsverschiebung: neue Gewohnheiten, Player und Trends
Die Verschiebung in Richtung E-Commerce wirbelt den Wettbewerb kräftig durcheinander. Einerseits bietet dies den Einzelhändlern die Chance, durch einen stärkeren Fokus auf Bequemlichkeit und Service Marktanteile zu gewinnen. Andererseits laufen Unternehmen, die sich dem digitalen Wandel nur langsam oder zögerlich stellen, Gefahr, Marktanteile zu verlieren.
Die Online-Falle: Boom mit derzeit größtenteils negativen Margen
Die Entwicklung stellt allerdings auch eine große Gefahr für die Rentabilität dar: Der Online-Verkauf von Lebensmitteln ist – unabhängig von der Art der Zustellung (Click-and-Collect oder Lieferung) – mit Verlusten verbunden. Die Kosten steigen, da ein Teil der Dienstleistungswertschöpfungskette (in der Regel Kommissionierung, Kasse und Lieferung) vom Kunden an den Einzelhändler zurückverlagert wird, während die damit verbundenen Kosten nicht vollständig durch die Dienstleistungsentgelte kompensiert werden können.
E-Commerce-Strategie: Wer setzt auf welches Pferd?
„Das ist ein Weckruf für die Branche“, sagt Machan. „Diese doppelte Bedrohung von Marktanteilen und Gewinnen könnte die Einzelhändler dazu veranlassen, ihren E-Commerce-Aktivitäten einen höheren Stellenwert auf ihrer strategischen Agenda einzuräumen. Beispielsweise durch Investitionen in digitale Kapazitäten, die eine höhere Effizienz ermöglichen, mit dem Ziel, beim Gewinn mit dem stationären Einzelhandel gleichzuziehen. Sowie: Partnerschaften – mit neuen Playern, die voll auf digitale Modelle setzen. Die Unternehmen müssen sich mit den neuen Trends intensiv beschäftigen und jetzt überlegen, auf welches Pferd sie für den digitalen Wandel setzen wollen, um weiter im Rennen zu bleiben.“
Anhänge:
Die deutsche Kurz-Zusammenfassung der Studie finden Sie hier.
Die vollständige Studie (Englisch) finden Sie hier.
Foto Marina Machan (Fotocredit: Martina Draper)
[1] Analysiert wurden die 5 wichtigsten Märkte in Europa: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien; diese werden der Einfachheit halber im Pressetext mit „Europa“ bezeichnet.
[2] Quelle: Nielsen LEH-Umsatzbarometer 2020
[3] Unter der Annahme einer durchschnittlichen EBIT-Marge von 3,7 % für den Lebensmitteleinzelhandel in Europa (gewichteter Durchschnitt des Sektors im Jahr 2020) geht die Euler Hermes Studie davon aus, dass jedes Prozent der Lebensmittelverkäufe, das künftig online getätigt wird, einen Gewinn von mindestens 500 Mio. EUR bedroht – wenn die Margen im Online-Lebensmittelhandel bei null lägen, was allerdings optimistisch ist. Bei einer Marge von -5% wären es 1,2 Mrd. EUR, und im schlimmsten Fall (EBIT-Marge von -10%) könnten die Gewinneinbußen auf bis zu 1,9 Mrd. EUR ansteigen.
[4] Quelle: Statista Research Department