Die vergangenen 25 Jahre wurden von Megatrends wie demografischem Wandel, Klimaveränderungen und rasanten Fortschritten in der künstlichen Intelligenz (KI) geprägt. Diese Entwicklungen haben die globale Wirtschaft tiefgreifend verändert und Deutschland vor neue, komplexe Herausforderungen gestellt. Anders als in der Zeit, als Deutschland als der „kranke Mann Europas“ galt, geht es heute um grundlegende Fragen zur Zukunftsfähigkeit seines Wirtschaftsmodells.
Um diese Herausforderungen zu meistern und den Kurs für langfristigen Wohlstand zu setzen, benötigt Deutschland eine klare strategische Vision: ein „Leitbild 2030“. Dieses Leitbild sollte nicht nur die Grundlage für nachhaltiges Wachstum legen, sondern auch Antworten auf die zentralen Fragen der Zukunft geben. Dabei stehen zehn zentrale Schwerpunkte im Fokus, die entscheidend dafür sind, den deutschen Wachstumsmotor neu zu starten und zu stärken:
1 Befreiung von der fiskalischen Selbstbeschränkung: Das deutsche Haushaltsdefizit, getrieben durch steigende Verteidigungs- und Investitionskosten, erfordert eine umfassende Strategie. Öffentliche Investitionen in Dekarbonisierung, Verkehr, Bildung und Verteidigung erfordern Reformen wie eine dynamische Schuldenbremse und eine „goldene Regel plus“ auf Basis von Investitionen. Eine Anhebung der Obergrenze für das strukturelle Defizit auf 0,5 bis 1 % des BIP könnte wichtige Investitionen unterstützen, aber Strukturreformen sind nach wie vor unerlässlich.
2 Übergang zu einem grünen Energiesystem zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit: Kurzsichtigkeit hat die Energiewende in Deutschland verzögert, was zu höheren Kosten, einer langsameren Dekarbonisierung und einer Infrastrukturentwicklung geführt hat, die dem Wachstum der erneuerbaren Energien hinterherhinkt. Um langfristige Nachhaltigkeit zu erreichen, sind bis 2035 Investitionen in Höhe von 1 Billion EUR erforderlich, die zu gleichen Teilen auf den Ausbau der Energieinfrastruktur und den Ausbau erneuerbarer Kapazitäten aufgeteilt werden.
3 Wiederaufbau der öffentlichen Infrastruktur nach Jahren der Vernachlässigung: Die öffentlichen Investitionen in Deutschland sind von 1 % des BIP in den 1990er Jahren auf null gesunken. Für den Wiederaufbau des Stammkapitals werden in den nächsten zehn Jahren zusätzliche 600 Mrd. EUR benötigt. Zu den wichtigsten Prioritäten gehören Infrastruktur, Bildung, Wohnraum und grüne Energie sowie die Förderung öffentlich-privater Partnerschaften, um die Finanzierung und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu verbessern.
4 Freisetzung des Arbeitskräfteangebots, um die demografische Lücke zu schließen: Es wird prognostiziert, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Deutschland bis 2050 von 52 Millionen auf 43 Millionen zurückgehen wird. Eine proaktive Arbeitsmarktpolitik muss die Erwerbsbeteiligung von Frauen, älteren Arbeitnehmern und Einwanderern erhöhen. Zu den Strategien gehören der Abbau von Arbeitsbarrieren und der Abbau von Diskriminierung sowie die Umsetzung von Anreizen wie Steuererleichterungen und Integrationsprogrammen.
5 Generationengerechte Renten sicherstellen: Es wird erwartet, dass der Altenquotient in Deutschland bis 2050 von 34 % auf 51 % ansteigen wird, was eine ausgewogene Rentenpolitik erfordert. Die Reformen sollen den Kostenanstieg eindämmen, Anreize für einen späteren Ruhestand schaffen und kapitalgedeckte Möglichkeiten wie die betriebliche Altersvorsorge insbesondere für einkommensschwache Gruppen ausbauen und gleichzeitig die Doppelbesteuerung von Alterseinkommen bekämpfen.
6 Reform des Steuersystems, um die Motivation zu steigern und Anreize für Arbeit zu schaffen: Das derzeitige Steuersystem in Deutschland belastet die Arbeit stark, mit einer effektiven Einkommensteuer von 29 % und einer Körperschaftsteuer von 29,9 % im Jahr 2023, während Vermögen nur mit 0,4 % besteuert wird. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die wirtschaftliche Teilhabe zu fördern, sollten sich die Reformen auf die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Vereinfachung der Einkommensteuerklassen und die Senkung der Körperschaftssteuern auf 25 % konzentrieren. Diese Veränderungen würden ein ausgewogeneres System schaffen, das das Wachstum unterstützt und Anreize für die Produktivität schafft.
7 Innovation revitalisieren: Die deutschen FuE-Investitionen in Höhe von 3,1 % des BIP reichen nicht aus, um in Zukunftstechnologien wie KI, Robotik, Quanten- und grünen Technologien eine Führungsrolle einzunehmen. Die Verdoppelung der FuE-Investitionen auf 6 % des BIP durch Steuererleichterungen und strategische institutionelle Unterstützung ist für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit von entscheidender Bedeutung.
8 Abbau regulatorischer Hürden: Trotz Fortschritten belaufen sich die bürokratischen Kosten in Deutschland auf 146 Mrd. EUR jährlich, die direkten Kosten werden auf 65 Mrd. EUR geschätzt. Der Bürokratieabbau um 25 % innerhalb von vier Jahren, die Digitalisierung der Verfahren und die Straffung der EU-Verhandlungen sind der Schlüssel zur Steigerung von Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit.
9 Stärkung der europäischen Führungsrolle: Eine starke deutsch-französische Partnerschaft ist für den Erfolg der EU von entscheidender Bedeutung, doch die jüngsten internen Konflikte – die internen Koalitionskonflikte Deutschlands und die politischen Turbulenzen in Frankreich – haben die Zusammenarbeit geschwächt. Eine neue EU-Kommission und eine neue Bundesregierung bieten einen Neuanfang. Deutschland muss seine Rolle neu stärken, indem es gemeinsame Schuldenmechanismen unterstützt, die Kapitalmarktunion vertieft, das Wachstum des Aktienmarktes fördert, Anreize für die Neuausrichtung des Sparens schafft und die Regulierung vereinfacht.
10 Engagement für faire Handelsbeziehungen: Deutschlands exportorientiertes Modell mit Exporten von 43 % des BIP steht durch das Abklingen der Globalisierung unter Druck. Rückläufige Exporte nach China, die derzeit 6 % der deutschen Gesamtexporte ausmachen, werden teilweise durch Gewinne in die USA ausgeglichen, aber es drohen Handelsspannungen. Deutschland muss seine Wertschöpfungsketten nach Europa ausrichten, Freihandelsabkommen verhandeln und auf Binnenwachstum und industriepolitische Vereinheitlichung setzen.
Die gesamte Studie von Allianz Trade ist hier als Download abrufbar.