Gemeinsames Projekt von Arbeiterkammer (AK), Industriellenvereinigung (IV), RHI Magnesita und Acredia – Corona-Jahr brachte weniger mediale Sichtbarkeit von Frauen
Wien, 29. Juni 2021
Die Corona-Pandemie stellt Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Gesundheitssystem auf den Prüfstand. Wie Frauen in dieser historischen Phase mitgestalten können und wie sichtbar sie im öffentlichen Diskurs sind, ist Gegenstand der aktuellen Studie „Frauen – Politik – Medien“ von MediaAffairs in Kooperation mit Acredia, Arbeiterkammer (AK), Industriellenvereinigung (IV) und RHI Magnesita. Erstmals liefert die Medienstudie eine fundierte Basis dafür, wie sich eine Krise von solch enormer Intensität auf die Sichtbarkeit und die öffentliche Wahrnehmung von Frauen auswirkt. Seit mittlerweile acht Jahren untersucht die Agentur MediaAffairs regelmäßig die mediale Sichtbarkeit und Präsenz von Frauen sowie den Stellenwert der Frauen(-politik) in der aktuellen politischen Debatte.
Studienautorin Maria Pernegger: Frauenpolitik als Krisenverliererin
„Entgegen vieler positiver Entwicklungen der letzten Jahre verschwinden Frauen aktuell zunehmend aus der ersten Reihe. Diese Entwicklung steht im krassen Widerspruch zu unzähligen internationalen Studien, die belegen, dass diverse Teams und Frauen in Führung Organisationen deutlich innovativer, erfolgreicher und resilienter machen“, so Studienautorin Maria Pernegger. Im monothematischen Umfeld der Krise gehöre die mediale Bühne zu 77 Prozent den Männern. Frauen seien als Expertinnen, Medizinerinnen, Unternehmerinnen oder Vertreterinnen von Organisationen mit einem Anteil von 23 Prozent nur unterdurchschnittlich sichtbar. „Vergleiche mit dem Jahr 2018 zeigen deutliche Rückgänge bei der medialen Sichtbarkeit von Managerinnen und Unternehmerinnen, insbesondere in prestigeträchtigen und finanzstarken Branchen – etwa in den Bereichen Telekommunikation, in der Finanzbranche, in der Bau- und Immobilienbranche, im Sport oder auch in der produzierenden Industrie. Zugewinne zeichnen sich für Frauen vor allem im Sozialbereich, Touristik und im Dienstleistungsbereich ab“, so Pernegger. Auch die Schlüsselrolle der Frauen als Systemerhalterinnen werde so nicht widergespiegelt – obwohl sich der Frauenanteil in systemerhaltenden Berufen auf beinahe zwei Drittel beläuft, beträgt der Anteil in den analysierten Medien nur 40 Prozent. In der Frauenpolitik zeige sich durch den gestiegenen Anteil von Frauen in der Spitzenpolitik eine erhöhte Sichtbarkeit, speziell frauenpolitische Inhalte fallen aber weit zurück. „Die Frauenpolitik ist eine Krisenverliererin“, resümiert Pernegger.
Die Studie zeige zudem, dass Frauen – wenn sie in Entscheidungspositionen präsent sind – andere Akzente setzen als Männer. Frauen würden fast doppelt so stark auf Digitalisierungsprozesse fokussieren, die Erschließung neuer Märkte forcieren und eher in die Gesundheitsförderung investieren. Pernegger sieht in der Krise ein Momentum für
Chancengerechtigkeit, das aber aktuell kaum genutzt wird. „Ähnlich wie die Digitalisierung, die einen enormen Aufwind erfahren hat, weil sie spürbare Wettbewerbsvorteile bringt, wird auch Diversität künftig verstärkt über Sein und Nicht-Sein von Organisationen entscheiden“, ist die Studienautorin überzeugt. So könnte der Fachkräftemangel – etwa in der IT oder im naturwissenschaftlichen Bereich – durch den weiblichen Talentepool entschärft werden.
AK-Präsidentin Renate Anderl fordert Schließen der Einkommensschere bis 2030
„Es ist beschämend“, sagt Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer Wien. „Frauen mussten im Corona-Jahr einiges schultern in den systemrelevanten Berufen, durch die verschärfte Doppelbelastung im Homeoffice, die stärkere Bedrohung durch Arbeitslosigkeit. Trotzdem ist der Stellenwert der Frauenpolitik in Politik und Medien zurückgegangen. Ich erwarte mir endlich Taten statt Lippenbekenntnisse und Ablenkungsmanöver. Jede Frau hat ein eigenständiges Leben verdient, finanziell unabhängig von einem Partner. Gleichberechtigung beginnt beim Geld. Ich fordere, dass die Einkommensschere 2030 Geschichte ist. Sogenannte Frauenberufe – viele davon systemrelevant – gehören ordentlich bezahlt. Volle Lohntransparenz im Betrieb hilft gegen Lohndiskriminierung. Familie und Beruf muss für alle vereinbar sein. Ich erwarte mir eine Investitionsinitiative beim Ausbau der Kinderbetreuung über 1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Arbeitszeit gehört auf eine gesunde Vollzeit verkürzt. Die Wirtschaft braucht all die gut ausgebildeten Frauen als Fachkräfte. Wir können es uns nicht länger leisten, ihr Potenzial liegen zu lassen.“
IV-Vizepräsidentin Sabine Herlitschka: Sichtbarkeit von Frauen erhöhen, digitale Chancen nutzen, Wettbewerbsfähigkeit stärken
„Medien haben eine zentrale Rolle, wenn es um die Darstellung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern geht. Medienanalysen der vergangenen Jahre bestätigen, dass es einen großen Aufholbedarf bei der Sichtbarkeit von Frauen gibt – das gilt vor allem für das Krisenjahr 2020“, betont Sabine Herlitschka, Vizepräsidentin der Industriellenvereinigung (IV). Aus Sicht der Industrie sei es besonders wichtig, mehr Frauen für technische und naturwissenschaftliche (MINT-)Berufe zu begeistern. Gerade der Bereich Digitalisierung biete enorme berufliche Chancen. „Wir sehen auch in der Studie, dass Frauen in Führungspositionen einen fast doppelt so hohen Fokus auf Digitalisierungsschritte in Unternehmen setzen als Männer. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber noch immer gibt es zu wenige Frauen in Branchen wie Informationstechnologie, Industrie 4.0/Automatisierung oder Smart Engineering. Gerade dort bieten sich sehr attraktive Chancen auch für Frauen. Gleichzeitig ist Diversität in Belegschaft und Führungspositionen ein höchst positiver Verstärker für Innovation – und damit für Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Österreich insgesamt“, so Herlitschka.
Gudrun Meierschitz (Vorständin Acredia): Unternehmerinnen und KMU medial unterrepräsentiert
„Wie mutig Unternehmerinnen und Unternehmer mit den aktuellen Herausforderungen umgehen, ist auch dem öffentlichen Stimmungsbild geschuldet. Dieses ist mehrheitlich immer noch von den ‚großen Unternehmen‘ und ihren zumeist männlichen Repräsentanten geprägt. Sie stehen im Fokus der Wirtschaftsberichterstattung. KMU – die dominante Unternehmensform in Österreich – und Unternehmerinnen sind hingegen stark unterdurchschnittlich vertreten“, so Gudrun Meierschitz, Vorständin Acredia, Österreichs größter Kreditversicherung. Frauen würden zwar mit 60 Prozent die Mehrheit in den sogenannten „systemrelevanten Berufen“ stellen, „tatsächlich sind sie medial aber nicht sichtbar. Ähnlich verhält es sich mit der Medienpräsenz von Managerinnen und Unternehmerinnen. Diese Verzerrung zwischen öffentlichem und veröffentlichtem Bild geht auch zu Lasten möglicher entscheidender Weichenstellungen für die Chancengleichheit der Zukunft.“
Simone Oremovic (RHI Magnesita): Mehr Schlüsselpositionen mit Frauen besetzen
„Wir haben während der Krise bewusst mehr Führungspositionen mit Frauen besetzt, weil wir wissen, dass Unternehmen mit einem diversen Führungsteam deutlich besser performen und die Innovationskraft steigt“, betont Simone Oremovic, Executive Vice President RHI Magnesita. „Um agil und innovativ zu sein, brauchen wir ein breites Spektrum an Talenten und Perspektiven. Das bedeutet in unserer nach wie vor männlich dominierten Branche, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen“, so Oremovic abschließend.
Die vollständige Studie finden Sie hier:
http://frauenstudie2020.mediaaffairs.at/
Anhänge:
Gruppenfoto (Fotocredit: Karo Pernegger)