Zusammenfassung:
1. Wer trägt tatsächlich die Kosten des anhaltenden Handelskriegs?
Vorerst in erster Linie die Exporteure, aber auch die US-Verbraucher werden durch eine höhere Inflation (Anstieg um 0,6 Prozentpunkte bis Mitte 2026) belastet werden. Zwar haben sich die globalen Handelswege verschoben, sodass die Exporteure die Auswirkungen abfedern können, doch bleiben die Abwärtsrisiken hoch, da die sektoralen Untersuchungen noch andauern und das Handelsabkommen mit China noch aussteht.
Die Exportverluste könnten theoretisch zwischen -0,3 % des BIP (EU) und -1,3 % des BIP (Vietnam) im Vergleich zu einem Szenario vor dem Handelskrieg liegen. Die Kosten für die USA werden auf -0,3 % geschätzt. Die zugesagten ausländischen Direktinvestitionen in den USA würden, wenn sie realisiert würden, bis 2026-2028 6 % des US-BIP ausmachen und für die Herkunftsländer sehr kostspielig sein. Insgesamt wird erwartet, dass sich das Wachstum des weltweiten Handels mit Waren und Dienstleistungen von +2 % im Jahr 2025 auf +0,6 % im Jahr 2026 verlangsamen wird.
2. Ist die Stagflation von einem drohenden Risiko zu einer unbestreitbaren Realität geworden?
Ja, aber derzeit handelt es sich um eine leichte Stagflation. In vielen Industrieländern – wie Großbritannien, den USA und Japan – liegt die Inflation weiterhin über dem Zielwert, während das Wachstum weiterhin schleppend verläuft. Diese Kombination stellt im historischen Vergleich eine milde stagflationäre Phase dar. Für die meisten Volkswirtschaften erwarten wir, dass die Inflation bis 2027 allmählich wieder auf das Ziel von 2 % zurückkehren wird. Während Großbritannien derzeit mit einer besonders hohen Inflation auffällt, dürfte die USA die längste Überschreitung erleben. Eine Mischung aus Zöllen, anhaltenden fiskalischen Anreizen und einwanderungsbedingten Arbeitskräftemangel sorgt dafür, dass die US-Wirtschaft leicht überhitzt bleibt und der Preisdruck hoch ist.
3. Können die Zentralbanken ihre komplexen Dilemmata lösen?
Die Zentralbanken in den Industrieländern stehen vor einer dreifachen Herausforderung: schwaches Wachstum, anhaltende Inflation und steigende Haushaltsdefizite, die die langfristigen Renditen in die Höhe treiben und den Fokus auf die globale quantitative Straffung (QT) verstärken. Wir gehen davon aus, dass die Fed bis Mitte 2026 nur noch drei weitere Zinssenkungen vornehmen wird und einen Endzinssatz von 3,25–3,50 % erreichen wird, der deutlich über den aktuellen Marktpreisen liegt. Die EZB hat ihre Zinssenkungen abgeschlossen, während die BoE wahrscheinlich weitere Lockerungen vornehmen und die Zinsen bis 2027 auf 3,0 % senken wird – unter den aktuellen Marktpreisen –, da die Inflation zurückgehen wird und die Wirtschaft weniger geldpolitische Restriktionen benötigt. Im Gegensatz dazu wird die BoJ den umgekehrten Weg einschlagen und ihre Zinsen weiter in Richtung eines Endzinssatzes von 1,0 % anheben, da die Kerninflation nach wie vor zu hoch ist, um ignoriert zu werden. Die quantitative Straffung wird bei der EZB, der BoE und der BoJ fortgesetzt werden – vorausgesetzt, die Anleihemärkte bleiben geordnet. Die Fed hat ihre Bilanzverkürzung jedoch weitgehend abgeschlossen, was den Druck auf die längerfristigen Renditen etwas verringert.
4. Steht die Dominanz des US-Dollars vor einer neuen Ära der Unsicherheit?
Ja – aber schreiben Sie ihn noch nicht ab. Trotz der starken De-Dollarisierungsdiskussion spiegelt die Schwäche des EUR/USD seit Jahresbeginn größtenteils die Marktpreise einer im Vergleich zur EZB eher zurückhaltenden Fed wider, die eher auf Anzeichen einer Konjunkturabschwächung in den USA als auf Zweifel an der Unabhängigkeit der Fed zurückzuführen ist. Die langfristigen Inflationserwartungen bleiben gut verankert, und der kurzfristige Preisdruck hat sich stärker als erwartet abgeschwächt. Allerdings lässt sich etwa ein Drittel des Dollar-Rückgangs tatsächlich mit der Entdollarisierung nach dem „Befreiungstag“ in Verbindung bringen, vor allem durch verstärkte Devisenabsicherungen und weniger durch direkte Kapitalabflüsse. Entscheidend ist, dass die USA weiterhin starke ausländische Investitionen anziehen. Mit Blick auf die Zukunft erwarten wir, dass der EUR/USD-Kurs weitgehend stabil bleiben wird, da die derzeitige leichte Entdollarisierung wahrscheinlich durch eine restriktivere Fed ausgeglichen wird. Die Risiken tendieren jedoch zu einem schwächeren USD: Politische Entwicklungen – wie eine direktere Einmischung in die Geldpolitik oder erneute Vorschläge für ein „Mar-a-Lago-Abkommen“ – könnten die Entdollarisierung über unser Basisszenario hinaus beschleunigen.
5. Wie weit kann die fiskalische Dominanz die langfristigen Zinsen treiben?
Momente à la Truss sind weltweit nicht auszuschließen, aber die „Puts” der Zentralbanken bleiben bestehen. Das steigende Nettoangebot an Anleihen bei hohen Haushaltsdefiziten hat die langfristigen Renditen in die Höhe getrieben, wobei beispielsweise die Renditen für 30-jährige britische Anleihen ihren höchsten Stand seit den 1990er Jahren erreicht haben. Die Politik wird den Kurs in Frankreich und den USA bestimmen. Aber die Zentralbanken bleiben wichtige Akteure in diesem Spiel. Das Tempo der quantitativen Straffung erhöht das Angebot in vielen Märkten in einem Umfang, der mit den Haushaltsdefiziten vergleichbar ist. Bei Bedarf können sie die quantitative Straffung verlangsamen – oder sogar die quantitative Lockerung wieder aufnehmen –, um die Märkte zu stabilisieren.
6. Wird die EU 2026-27 endlich ihre Verteidigungsausgaben erhöhen?
Der „Plan zur Wiederaufrüstung Europas” der EU sieht über vier Jahre hinweg 800 Mrd. EUR vor, darunter 150 Mrd. EUR für militärische Beschaffungen. Trotz der beträchtlichen Finanzmittel steht Europa jedoch aufgrund von Produktionsengpässen vor Hindernissen bei der raschen Aufstockung seiner militärischen Kapazitäten, da die Rüstungsunternehmen einen Rekordauftragsbestand (~ 350 Mrd. EUR) haben und ihre Investitionen (~ 5 %) wahrscheinlich nicht erhöhen werden. Darüber hinaus könnten die geringe Zusammenarbeit innerhalb Europas und die Konzentration auf die Beschaffung im Inland langfristige Projekte wie die französisch-deutsche Kampfflugzeuginitiative behindern. Europas Bestrebungen, die Abhängigkeit von US-Militärimporten zu verringern, werden durch die geopolitischen Entwicklungen in der Ukraine und das Handelsabkommen zwischen den USA und der EU erschwert. Daher erscheint eine moderate Ausgabenerhöhung von +10-20 % bis 2027 auf einen Anteil der Verteidigungsausgaben von 2,3-2,5 % des BIP realistischer. Dies würde bis dahin zu einem Anstieg des europäischen BIP-Wachstums um etwa +0,2 Prozentpunkte führen.
7. Wie gehen Unternehmen mit der Herausforderung anhaltend hoher Finanzierungskosten um?
Trotz niedrigerer Leitzinsen bleibt die Nachfrage der Unternehmen nach Krediten in der Eurozone verhalten. In den USA ziehen die Unternehmenskredite trotz strengerer Kreditstandards an. Unternehmen begegnen der Herausforderung anhaltend hoher Finanzierungskosten mit strategischen Anpassungen wie der Steigerung der betrieblichen Effizienz, der Neuverhandlung von Lieferantenverträgen und Investitionen in Automatisierung zur Senkung der Ausgaben. Viele große Unternehmen verlängern die Laufzeiten ihrer Schulden, bauen Schulden ab oder beschaffen sich Kapital auf den Anleihemärkten, wo die Renditen noch günstig sind, um die Zinslast zu minimieren. Gleichzeitig suchen sie aufgrund der knappen/teuren traditionellen Bankkredite nach alternativen Finanzierungsquellen wie privaten Krediten oder strategischen Partnerschaften. Der Höhepunkt der weltweiten Unternehmensinsolvenzen wird erst für 2027 erwartet: Wir rechnen mit einem Anstieg von +6 % bzw. +4 % in den Jahren 2025 und 2026, bevor es danach zu einem begrenzten Rückgang kommen wird.
8. Zeichnet sich eine Kapitalmarktblase ab?
Nein, aber der KI-Boom scheint bereits vollständig eingepreist zu sein, sodass das kurzfristige Aufwärtspotenzial begrenzt ist. Während die Aktienmärkte, insbesondere in den USA, mit hohen Kurs-Gewinn-Verhältnissen gehandelt werden, hält das starke langfristige Gewinnwachstum – das auf 15 % pro Jahr geschätzt wird, verglichen mit 10 % in Europa – das Kurs-Gewinn-Wachstums-Verhältnis (PEG) in Schach. Dennoch konzentriert sich die Rallye auf wenige Mega-Cap-Technologieunternehmen, wodurch der Markt in hohem Maße von der Erfüllung der KI-Erwartungen abhängig ist.
9. Welche Schwellenländer haben mit zunehmenden Ungleichgewichten zu kämpfen?
Die Schwellenländer befinden sich insgesamt noch immer in einem Expansionszyklus, was zum Teil auf die bisherige unterstützende Auslandsnachfrage zurückzuführen ist. Asiatische Exporteure haben Marktanteile in den USA gewonnen, wobei Taiwan, Vietnam, Thailand und Indonesien sogar noch freie Produktionskapazitäten haben. Angesichts der sich eintrübenden Konjunkturaussichten, der gedämpften Inflation und des niedrigeren US-Dollars haben die meisten Zentralbanken der Schwellenländer ihre Leitzinssenkungen beschleunigt, sodass sich der Zyklus bis Mitte 2026 verlangsamen dürfte. Mehr als die Hälfte der Schwellenländer lockert zudem ihre Fiskalpolitik. Die Märkte scheinen derzeit noch unbesorgt, doch die Bewertungen geben zunehmend Anlass zur Sorge, und einige Länder müssen genau beobachtet werden (z. B. Argentinien, Brasilien, Ägypten, Indonesien). Die meisten Länder Lateinamerikas und Mittel- und Osteuropas (sowie einige in Südostasien und Afrika) wären ebenfalls anfällig für eine Risikoaversion, da sie Nettoschuldner mit Leistungsbilanzdefiziten sind. Die chinesische Wirtschaft wird sich bis 2026 verlangsamen, da die Exporte wahrscheinlich zurückgehen und die Binnennachfrage weiterhin schwach ist. Eine der Herausforderungen besteht darin, das Vertrauen der Privatwirtschaft wiederherzustellen und den Deflationsdruck einzudämmen – weitere politische Unterstützung wird voraussichtlich bis zum ersten Quartal 2026 erfolgen.
10. Welche Ereignisse könnten zu einem negativen Szenario führen?
Ein verstärkter Protektionismus mit einer Wahrscheinlichkeit von 45 % könnte zu einer globalen Handelsrezession führen, die durch die Eskalation der US-Zölle ausgelöst wird und sich negativ auf Wachstum und Inflation auswirkt, während sie gleichzeitig Druck auf die Zinsen und Aktienmärkte der Industrieländer ausübt. Gleichzeitig könnte ein politischer Schock durch die Abkehr vom Dollar mit einer Wahrscheinlichkeit von 35 % den EURUSD-Kurs über 1,25 treiben. Eine Staatsschuldenkrise mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % könnte aufgrund hoher Schuldenstände und Zinsen entstehen und die Fiskalpolitik in Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA einschränken. Die geopolitischen Spannungen könnten weiter zunehmen, wobei ein Konflikt zwischen der NATO und Russland, eine Eskalation im Nahen Osten und ein offener Konflikt zwischen China und Taiwan potenzielle Risiken darstellen. Als Aufwärtsrisiken sehen wir einen Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland, der das Wachstum und die europäische Industrie ankurbeln würde, sowie den US-amerikanischen Exzeptionalismus, der durch Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und den Erfolg der Trumponomics das Wirtschaftswachstum vorantreiben würde, was zu einem höheren Wachstum und positiven Auswirkungen auf die Aktienmärkte der Industrieländer führen würde.
Die gesamte Studie von Allianz Trade ist hier als Download abrufbar.